Bin heute mal seit längerer Zeit am Grab meiner Mutter gewesen. Es ist ein Urnengrab mit einer einfachen Einfassung. Ich habe selbst weißen Kiesel gekauft und einen Steingarten daraus gemacht. Es stehen ein paar Kleinigkeiten drauf. Zwei Kerzenhalter und die Devotionalie einer Tante. Blumen gibt es nur ab und zu mal. Ich hatte kurz die Befürchtung, dass ich unabsichtlich ein Katzenklo gebaut habe, aber nichts deutet darauf hin, dass Katzen dort ihre Notdurft verrichten. Auch wächst dort nicht viel, aber ich habe heute trotzdem mal etwas Unkraut gezupft. Ich war vor allem neugierig, weil ein neues Grab jemand ist, den ich kenne. Es ist der Pappa von meinem Pflegeschwesterchen. Wenn man tot ist, kann man nichts mitnehmen, aber er ist sicher einer der höchstdotierten Toten auf diesem Dorffriedhof. Eigentlich ein reicher Mann, aber es scheint auch ein Urnengrab zu sein. Er liegt auch nur eine Reihe weiter, als meine Mutter. Die Familie ist auch aus dem Osten. Der Tod ist nicht schön, aber ich finde es gut, dass er auch als Professor der Wirtschaftswissenschaften bei den einfachen Leuten geblieben ist. Er muss letzten Monat verstorben sein. Ausgerechnet im Mai. Das Bizarre an der Sache ist, dass ich bildlich den Schmerz und die Trauer seiner Tochter gespürt habe. Ich fühlte eine plötzliche Aufregung und sah auch deutlich ihr Bild. Ich habe selbst einige Tage ziemlich viel geweint. Überraschend fand ich auch, dass unsere Seelen anscheinend immer noch verbunden sind, obwohl wir uns aus den Augen verloren haben. Wir sind keine Blutsverwandten, aber wir sind anscheinend aus dem gleichen Holz. Ich erlebe solche Dinge mit geliebten Personen häufiger. Sie ist mir deutlich näher, als meine Blutsverwandten. Meine tote Mutter war im Tiefschlaf bei mir und hat sich noch verabschiedet. Ich hatte und habe solche Erlebnisse auch mit lebenden Personen. Es sind teilweise Traum-, aber auch Wacherlebnisse. Das mit besagter Pflegeschwester ist das deutlichste Erlebnis dieser Art, dass ich mit lebenden Personen habe.